vlnr Prof. Dr. Reinhold Bauer Prof. Dr. Boris Gehen Prof. Dr. Alexander Brem

Schumpeters Erbe? Eine Diskussion.

19. Juli 2022

Innovation und Entrepreneurship im interdisziplinären Dialog: Die gemeinsame Veranstaltung von zwei Fakultäten, die Historische Fakultät mit Wirkungsgeschichte der Technik (WGT) und Unternehmensgeschichte (UG) sowie die Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit Entrepreneurship und Innovationsforschung (ENI) vermittelte spannende Einblicke.

Schumpeter, Begriffe und Konzepte

In Joseph A. Schumpeters Gedanken der „schöpferischen Zerstörung“ waren „Unternehmertum“ bzw. „Entrepreneurship“ und „Innovation“ untrennbar miteinander verbunden. Die Begriffe, weniger die Konzepte, prägen auch heute noch die fachwissenschaftlichen Debatten der Unternehmens- und der Technikgeschichte sowie der Entrepreneurship- und Innovationsforschung. Dies nahmen drei Stuttgarter Fachvertreter zum Anlass, um gemeinsam und mit einem interessierten Publikum über disziplinäre Traditionen und interdisziplinäre Perspektiven des Zusammenspiels von Unternehmertum, (technischen) Innovationen und Wirtschaftsentwicklung zu diskutieren: 

Prof. Dr. Reinhold Bauer (WGT)

Trotz sommerlicher Temperaturen kamen heute zahlreiche Teilnehmende in den Frei.Raum, den Co-Working Space am Campus Stuttgart-Vaihingen , um sich in die kurzweilige Diskussion mit einzubringen.

Den Start machte Prof. Dr. Boris Gehlen mit einer Einschätzung der historischen Bedeutung Schumpeters. In seinen Überlegungen zur wirtschaftlichen Entwicklungen hob dieser „Innovation“ und „Unternehmer“ als maßgebliche und auf Engste miteinander verflochtene Dynamisierungsfaktoren in der Wirtschaft hervor. Die Neukombination von Produktionsfaktoren, auch als „kreative Zerstörung“ bekannt, rückte derart ins Zentrum vieler Definitionen „des Unternehmers“. Streng genommen definierte Schumpeter jedoch ‚nur‘ Unternehmertum bzw. Entrepreneurship, da jede reale Person nur für den Moment der Durchsetzung von Innovationen tatsächlich als „Unternehmer“ zu bezeichnen war. Diese funktionale Definition Schumpeters eignet sich demnach nur bedingt, historische Unternehmerpersönlichkeiten zu untersuchen, lenkt aber gleichwohl den Blick auf die Bedeutung unternehmerischen Handelns im Wirtschaftsprozess.

Durchaus kontrovers diskutiert wurde das Bild von Schumpeter, wie man dies in der wirtschaftswissenschaftlichen Innovationsforschung typischerweise sieht. Dort gibt es fast einen Kult zur Verehrung von Joseph Schumpeter als Erfinder des Begriffs des Entrepreneurships und des Unternehmers als tragendes Konstrukt dahinter. Hierbei ging Prof. Dr. Alexander Brem insbesondere auf das Konzept des Risikos ein: ein Unternehmer geht per Definition ein Verlustrisiko ein, was ein angestellter Geschäftsführer beispielsweise nicht hat. Insofern geht von der Rolle des Unternehmers eine wesentliche Bedeutung für die Innovationskraft ganzer Ökonomien aus. Schumpeter ist hier nicht nur als eine historische Person von vielen zu sehen, sondern ein früher „Star“ der Szene. Dies lag sicherlich auch an dessen Marketingtalent in eigener Sache und dass er in den USA den Großteil seines Lebens verbracht hat.

Prof. Dr. Reinhold Bauer hob hervor, dass die Schumpeter-Rezeption eine zentrale Rolle für die Formierung der technikhistorischen Innovationsforschung in den 1970er und 80er Jahren gespielt hat. Heute hingegen sind zwar die etablierten Begriffe und Konzepte nach wie vor in der Scientific Community präsent, Schumpeters Arbeiten selbst werden aber kaum mehr diskutiert. Das hat vor allem mit der Entwicklung des Fachs zu tun, in dem es eine sehr kritische Auseinandersetzung mit der für Schumpeter durchaus typischen Heroisierung von unternehmerischer Innovativität sowie mit dem für Schumpeter typischen normativen Fortschrittskonzept gegeben hat. Insgesamt fokussiert die historische Technikgeneseforschung seit mindestens zwei Jahrzehnten weniger auf das Unternehmen selbst, sondern zunehmend aus Innovationssystemen und  -kulturen. Darüber hinaus verschob sich in den vergangenen Jahren das Interesse innerhalb der Technikgeschichte von der Frage nach den Entstehungsbedingungen des Neuen hin zur Untersuchung des langfristigen Benutzen, Reparierens und Modifizierens, kurz zur Persistenz der existierenden Technologien. Auch damit geriet Schumpeter notwendigerweise aus dem Fokus der disziplinären Forschung.

Über den Diskurs der drei Wissenschaftlerhinaus entstand ein intensver Austausch mit dem Publikum durch diverse Nachfragen und Ergänzungen, der sich auch über das Veranstaltungsende erstreckte.

 

Kontakt

Dieses Bild zeigt Melanie Minderjahn

Melanie Minderjahn

 

Wiss. Mitarbeiterin, Referentin für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit

Zum Seitenanfang